12.07.2023
Globaler Ausblick (AllianceBernstein): Grund zur Vorsicht, aber nicht zur Panik
Globaler Ausblick von Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein.
Köln, den 11.07.2023 (Investmentfonds.de) - Die Weltwirtschaft hat sich im zweiten Quartal als bemerkenswert
widerstandsfähig erwiesen. Seitdem haben sich die Aussichten zwar nicht wesentlich
verbessert, doch die Abwärtsrisiken in Bezug auf den schleppenden Wachstumspfad,
der nach wie vor unser Basisszenario darstellt, haben eindeutig abgenommen.
Das Risiko einer bevorstehenden harten Landung der Wirtschaft ist heute geringer
als noch vor drei Monaten.
Entscheidend für diese Widerstandsfähigkeit ist in den entwickelten
Volkswirtschaften vor allem der Arbeitsmarkt. Das Beschäftigungswachstum
ist nach wie vor stark, die Arbeitslosigkeit niedrig und das Lohnwachstum
hat in den meisten großen Volkswirtschaften mit der Inflation Schritt gehalten,
wobei Großbritannien eine Ausnahme darstellt. Dies ermöglicht es Privathaushalten,
Unebenheiten im Konjunkturzyklus zu glätten und schwierige Phasen zu überstehen.
Unterdurchschnittliches Wachstum bis 2024
Zwar belasten die Zinserhöhungen bereits die Wirtschaftsaktivität in vielen
Sektoren und viele Haushalte haben begonnen, ihre während der Pandemie
angesammelten Ersparnisse anzubrechen. Es ist allerdings fraglich, ob
dies letztendlich zu einer Rezession führt – und selbst wenn ein Abschwung
eintreten sollte, deutet alles darauf hin, dass er im Vergleich zu den
jüngsten historischen Standards mild ausfallen wird. Wir erwarten deshalb
keinen scharfen Rückgang, sondern eine längere Phase unterdurchschnittlichen
Wachstums, die bis 2024 andauern wird.
Es mag seltsam klingen, doch ausgerechnet die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit
ist die Ursache für die schleppende Konjunktur. Denn: Ein robustes Wachstum,
insbesondere auf den Arbeitsmärkten, bedeutet, dass die Inflation weltweit
nur langsam zurückgehen dürfte. Eine hartnäckige Inflation wiederum wird
die Zentralbanken wahrscheinlich dazu zwingen, die Zinssätze stärker als
erwartet anzuheben und die Leitzinsen erst einmal in einem restriktiven
Bereich zu halten.
So sahen sich die Zentralbanken mehrerer Länder, insbesondere Australiens
und Kanadas, bereits gezwungen, die Zinssätze wieder anzuheben, nachdem
sie in Erwartung nachlassender Inflationsrisiken ein Ende der Straffung
signalisiert hatten. Sowohl die Federal Reserve (Fed) als auch die
Europäische Zentralbank (EZB) haben angedeutet, dass die Zins-Endrate
wahrscheinlich höher ausfallen wird als erwartet. Außerdem sah sich
die Bank of England (BoE) mit einer erneuten Beschleunigung der Inflation
konfrontiert, was zu einem wesentlich höheren Zinsprofil führte als
ursprünglich angenommen.
Grundsätzlich ist aus Sicht der Märkte ein anhaltend unter dem Trend
liegendes Wachstum Grund zur Vorsicht, aber nicht zur Panik.
Risiken: Harte Landung Chinas möglich
Der laufende geldpolitische Straffungszyklus hat zwar noch nicht zu
dauerhaften Störungen an den Finanzmärkten geführt, aber die Vergangenheit
zeigt, dass Straffungszyklen oft in finanziellen Turbulenzen enden.
Auch China bleibt ein Abwärtsrisiko. Das Wachstum zog zwar kurzzeitig an,
als die Null-COVID-19-Politik des Landes aufgehoben wurde. Die jüngsten
Daten deuten jedoch darauf hin, dass zusätzliche politische Anreize
erforderlich sein werden, um die Wirtschaft auf Kurs zu halten. Sollte
dieser Stimulus zu gering ausfallen oder zu spät kommen, könnte sich
eine harte Landung Chinas als disruptiv erweisen. Und natürlich ist
die für die gesamte westliche Welt erwartete Disinflation noch keine
Realität. Zwar wird die Inflation sich im Laufe des Jahres verlangsamen,
der Weg zum Inflationsziel ist allerdings noch lang.
Quelle: Investmentfonds.de